Sonntag, 9. August 2015

Wieso "50 Shades of Grey" nicht "anti-feministisch" ist

Über "50 Shades of Grey" spricht die Welt: mehr als 100 Millionen Exemplare wurden weltweit verkauft (Trilogie), alleine Band 1 gilt dabei als das Taschenbuch, das sich am schnellsten verkaufte und liegt noch vor den Ausgaben der Harry-Potter-Romane.

Da muss doch was dran sein, dachte ich mir. Als im Februar 2015 der Film an den Start ging und die Kinosäle zum Glühen brachte, war ich bestens vorbereitet. Ich hatte alle 3 Bände gelesen und zwar aus meiner Position als Frau, Feministin und Literaturwissenschafterin.
Okay, die Literaturwissenschafterin konnte bald zusammenpacken, einen Prosa-Preis gewinnt E.L.James nicht. Das Prickelnde und Packende an der Story ist der eben der Plot und nicht die Erzählweise.

Die Feministin in mir hat amüsiert gelesen und musste sich tatsächlich nicht oft echauffieren. Wieso? Weil ich die Beziehung zwischen Anastasia Steele und Christian Grey als individuelle Angelegenheit empfinde, die als solche auch betrachtet werden muss.

Wenn ich lesen "Frauen erteilen Feminismus Absage" (wenn sie Shades of Grey konsumieren) und
"Passen SM und Feminismus zusammen?", kann ich alleine die Aussage/Frage nicht verstehen.

Die Frage ob SM und Feminismus zusammenpassen, kann ich ganz einfach beantworten: ja, wieso auch nicht? Es gibt eine Menge feministischer Literatur darüber, die diesen Lebensstil bejaht. Prinzipiell kann der Feminismus alles bejahen, was auf Freiwilligkeit basiert. Wenn zwei (oder mehrere) erwachsene Menschen sich dazu entschließen, diese Vorlieben zu teilen, dann ist es nichts was dem Feminismus widerspricht. Umgekehrt wäre es aus Sicht des Feminismus abzulehnen, wenn eine Frau dazu gezwungen wird, einem Mann sexuell zu dienen, ob es nun sadomasochistisch ist oder nicht. Auch dies geschieht bei "50 Shades of Grey" nicht.
Im Feminismus geht es darum, Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sichtbar zu machen, darüber zu sprechen und sie dadurch zu verändern. Der Grund, wieso viele FeministInnen ein Problem mit "50 Shades" haben ist das Ungleichgewicht in Bezug auf die sexuelle Erfahrung zwischen Ana und Christian. 5 Jahre ist Christian älter und nennt einmal die Zahl seiner Gespielinnen: 15. Anastasia hingegen ist unberührt. Das hinterlässt vielleicht den Nachgeschmack, dass Ana der Lebensstil von Christian aufs Aug' gedrückt bekommt, weil sie sich gar nicht wehren kann, gar keine Vergleichsmöglichkeiten hat. Anastasia ist unerfahren in Liebesdingen und das macht es auf den ersten Blick schwierig zu erkennen, ob sie sich Christian Grey in seinem "Playroom" einfach hingibt, weil sie ihn liebt oder ob sie mit ihm erste Erfahrungen macht, die ihr auch zu gefallen beginnen. Es ist eine Mischung aus Beidem. Sie ist verliebt in ihn, er ist dabei, zuzulassen, dass er sich in sie verliebt hat und sie gehen als zwei Erwachsene zusammen in den "Playroom", um dort Dinge zu machen, die abgesprochen sind. Bevor Christian Anastasia anfasst, diskutiert er mit ihr einen Vertrag aus, in dem gemeinsame Grenzen und No-Gos festgehalten werden. Zudem gibt es in der SM-Szene immer ein Safeword, welches während des Aktes genannt werden kann und der Dom beendet sofort die Handlung an der Sub.

Wieso muss eine Frau ihre feministische Einstellung an der Kinokasse ablegen, wenn sie ihr Ticket für 50 Shades of Grey löst? Gerade der eben erschienene Band "Grey", der den Plot des 1. Bandes aus der Sicht von Christian Grey darstellt, zeigt sehr genau, wie stark, eigensinnig und klug Anastasia ist und Christian dies eben nicht negiert, sondern sehr schätzt. Christian will ihre Persönlichkeit nicht schwächen, im Gegenteil, er ist daran interessiert, Anastasia selbstbewusster zu sehen. Seine Sicht der Dinge, sein "Lifestyle" wie er es nennt, ist geprägt davon, Verantwortung für die Frau zu übernehmen. Er möchte dass es Anastasia gut geht, an nichts fehlt und sie sich, ihre Persönlichkeit und ihre Vorlieben besser kennenlernt. Das ist an sich nicht widersprüchlich, auch in einer modernen, gleichberechtigten Beziehung.

Auf den ersten Blick wirken Christian Greys Überwachungstendenzen wie sanftes Stalking, aber Anastasia lässt sich das nicht gefallen. Als er ihr Handy ortet, um sie in der Nacht, als sie sich das erste Mal mit Freunden betrinkt, zu finden, findet sie das richtig spooky und sagt ihm das auch unverblümt. Seine kontrollierende Art ist Resultat seiner Kindheitserfahrungen, wie der ergänzende Band "Grey" sehr gut darstellt. Was jetzt natürlich nicht heißen soll, dass krankhafte Kontrolle oder Einengung im Beziehungsalltag dann okay ist, wenn es einen offensichtlichen Grund dafür gibt - absolut nicht!
Christian ist ein schwieriger Mensch, aber Anastasia hört er zu, ihre Worte dringen zu ihm vor. Auch wenn es ihm massiv schwer fällt, er versucht zu verstehen, was sie braucht und überlegt, ob er das leisten/bringen kann. Sein zerbrechliches Inneres versteckt er hinter einer Fassade von Kontrolle und Dominanz, ob beruflich oder privat.
Anastasia stellt seine bisher aufgebauten Denkmuster total auf den Kopf, denn als er sie kennenlernt, denkt er "Das soll meine neue Sub werden". Er setzt alles daran, sie wiederzusehen und in Kontakt zu bleiben. Es entwickelt sich etwas. Anastasia als junge, unerfahrene Frau wünscht sich eine herkömmliche, klassische Beziehung. Doch Christian glaubt das nicht zu können. Doch irgendwann überholt sein Herz sein Hirn. Und das ist das Wunderbare an der Geschichte: es ist eine klassische Love-Story mit kinky Aspekten, die einfach Würze in die Story bringen.

Christian überrascht Anastasia an ihrem Arbeitsplatz - Herklopfen!

Christian trägt Anastasia nach ihrer ersten Session im Playroom ins Bett


Nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht baden Christian und Ana gemeinsam. Wie er sagt, eines von vielen "Ersten Malen", die er mit Ana erlebt, da er das normalerweise mit seinen Ex-Gespielinnen (Subs) nicht macht. Aber Ana ist eben mehr.




Man kann Christian Greys Lebensstil spannend, eklig oder unaussprechbar finden, das ist okay. Aber SM als eine anti-feministische Sex-Spielart abzutun, ist einfach zu kurz gegriffen.
Wie schon erwähnt, bin ich der Meinung dass erwachsene Menschen miteinander im Bett, Playroom oder wo auch immer tun können was sie wollen. Ein großer Kritikpunkt an "50 Shades of Grey" war, dass Anastasia von Christian in diese Szene eingeführt wird, dass er sie in diese dunkle Welt hineinzieht. Ich sage: wäre es umgekehrt, dass eine erfahrenere Frau einen jungen Mann in diese Thematik einführt, ist es dann okay oder sogar feministisch? Auch diesen Aspekt kann der Roman abdecken: mit der Figur der Elena. Sie ist die Frau, die den jungen Christian, der ein sehr unglücklicher und introvertierter Jugendlicher ist, laut seiner eigenen Erklärung "rettet", indem sie sich ihm widmet und ihm einen Weg zeigt, sich zu spüren. Christian wird der Sub von Elena, die eine Freundin seiner Adoptivmutter ist.
Anastasia ist schockiert, als sie den SM-Werdegang von Christian hört und empfindet Elena als Kinderschänderin. Christian hingegen ist ihr sehr dankbar und respektiert sie.
Auch hier bestätigt sich meine Sichtweise: wenn es die Beteiligten freiwillig und unter Sicherheitsvorkehrungen machen, wieso soll es falsch/schlecht/unmoralisch oder anti-feministisch sein? Es passt in keine Schublade, es handelt sich einfach um Erwachsene, die eine gewisse Art von Sex mögen.

Auch die sich langsam aufbauende Partnerschaft von Anastasia und Christian zeigt sich bei genauerem Hinsehen und Lesen als eine relativ Ausgeglichene. Ana ist nicht auf den Mund gefallen, selbstständig und aktiv. Und Christian will das nicht ändern, sondern sogar unterstützen. Eine Frau unterwirft sich nicht einem Mann, sobald sie eine Beziehung mit ihm eingeht. Und das in deren Schlafzimmer oder Playroom passiert, machen sich die beiden aus. Christian und Ana sogar schriftlich ;-)